Erinnerungen 1960-1967
Ausführlicher Text zur Endnote 12, zitiert sind die gefetteten, kursiven Textteile
Red. Vorbemerkung: Die folgenden persönlichen Erinnerungen beanspruchen nicht den Anspruch auf objektive Wiedergabe von historischen Abläufen. Diese Erinnerungen mögen stellenweise als übertrieben und einseitig erscheinen. Sie haben sich in dieser Weise stark in das persönliche Gedächtnis eingegraben. Sicherlich gibt es gleichaltrige Zeitzeugen, die diese Zeit völlig anders erlebt hatten.
Wolfgang Weber
Die Jugendarbeit in St. Bonifatius in den Jahren 1960 – 1967 war in eine Zeit eingebettet, die man im Rückblick nur als glücklich bezeichnen kann. Die schlimmsten Kriegsfolgen waren beseitigt, der neue demokratische Staat war einigermaßen gefestigt, mit der Wirtschaft ging es Jahr für Jahr aufwärts, damit wuchs auch der Wohlstand der Bevölkerung. Speziell in Heidelberg war die durch die Luftbrücke entstandene Freundschaft mit den U.S.A. deutlich spürbar: Die amerikanischen Soldaten, ihre Kasernen und Wohnungen waren zum integralen Bestandteil des Heidelberger Stadtbilds geworden.
Unter diesen Umständen kann es nicht verwundern, dass auch die Jugendarbeit in einer äußerst positiven Gesamtstimmung ablief. Unsere Gemeinde, St. Bonifatius, stellte den Jugendgruppen – Pfadfinderinnen, Pfadfinder, KJG – die Kellerräume des Gemeindehauses in der Hildastraße zur Verfügung. Dort fanden regelmäßige Gruppenstunden statt, bei denen einerseits beispielsweise pfadfindertypische Übungen wie Signalsprache, Knoten üben, Einweisung in Kartenkunde etc. stattfanden, andererseits viel gespielt und gesungen wurde („Mundorgel“!). Auch sportliche Tätigkeiten wie Tischtennis waren an der Tagesordnung. Ebenso wurden sportliche Veranstaltungen mit anderen Jugendgruppen aus Heidelberg organisiert. Daneben fanden Abenteuertouren im Heidelberger Umfeld statt, so zum Beispiel am Königstuhl, auf der Thingstätte und in den Ruinen der Michaelsbasilika. Stärker dem Informationszweck dienten Exkursionen zur Berufsfeuerwehr und zur Polizeidirektion. Da die Jugendgruppen getrennt beiderlei Geschlechtern bestanden, boten sie aber auch die Möglichkeit zum Knüpfen zarter Bande, beispielsweise beim „Tanz in den Mai“, der auch in den Räumlichkeiten in der Hildastraße stattfand.
Neben diesen kurzfristigen Aktivitäten wurden auch Freizeiten und Ausfahrten geplant und durchgeführt. In besonderer Erinnerung blieb mir die erfolgreiche Bewerbung zur „KIM-Sippe“ – sozusagen eine Elite in der Pfadfinderschaft -, bei der ein Film über Heidelberg mit musikalischer Untermalung gedreht wurde. Die wichtigsten Höhepunkte im Jahr waren natürlich die Freizeiten und Zeltlager, die unter anderem in Frankreich, im Schwarzwald und am Bodensee stattfanden. Darüber hinaus gab es diverse Hüttenwochenenden auch mit anderen Gruppen.
Die Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde war intensiv: Regelmäßig gab es Gespräche und Diskussionen mit den Kuraten Albert Rapp und Ludwig Bopp, die in einer äußerst angenehmen Atmosphäre abliefen. Die katholische Jugend beteiligte sich auch intensiv an der Gestaltung von Jugendgottesdiensten. Zu diesen erschien man in seiner Kluft und marschierte hinter dem Banner in die Kirche ein. Ein „Highlight“ war in dieser Hinsicht das Fronleichnamsfest, bei dem die katholische Jugend, z. B. durch Kluft und Banner identifizierbar, mit der Gesamtgemeinde durch die Straßen der Weststadt zog, gemeinsam mit den Studentenverbindungen „in vollem Wichs“.
Fazit:
Die Jugendarbeit in St. Bonifatius in den sechziger Jahren war für die Beteiligten eine sehr gute Möglichkeit der geselligen Freizeitgestaltung. Der religiöse und ethische Hintergrund wurde von den meisten akzeptiert. Dieser kommt zum Ausdruck in dem Wahlspruch jener Jahre: „…dem Glauben nach zu leben, seinen Mitmenschen zu helfen und nach den erstellten Regeln zu leben.“ Bei den Pfadfinderinnen und Pfadfinder galt darüber hinaus der Vorsatz: „Jeden Tag eine gute Tat.“ Im „Versprechen“ der Pfadfinderinnen und Pfadfinder, das jeder ablegen musste, um dazuzugehören, hieß es: „Ich verspreche bei meiner Ehre, dass ich mit der Gnade Gottes mein Bestes tun will, jederzeit Gott, der Kirche und dem Vaterland treu zu dienen, meinem Nächsten zu helfen und dem Gesetz der Pfadfinderinnen und Pfadfinder zu gehorchen.“
In diesen Formulierungen wird bereits deutlich, dass sich hier ein Konfliktpotential auftat, das spätestens mit dem Aufkommen der gesellschaftlichen Unruhen ab ca. 1968 virulent werden musste. Für uns aber, die in den sechziger Jahren in der katholischen Jugend St. Bonifatius aktiv sein durften, war diese Zeit im Wesentlichen glückhaft, so dass man sich im Rückblick gerne daran erinnert.
Wolfgang Weber 27.03.2022