Eine unzeitgemäße Kooperation zwischen Sozialdemokratie und alternativer Kulturgruppe entsteht.
Im Frühjahr 1983 ist der Verein „KULTURFENSTER“ als gemeinnütziger Träger von Kinder-und Jugendarbeit und Stadtteilarbeit gegründet. Nach der Entscheidung, ein eigenes Stadtteilfest auf die Füsse zu stellen, wird sofort bei der Stadt Heidelberg ein Antrag auf Nutzung des Wilhelmsplatzes für das Sommerspektakel gestellt. Man war gespannt, ob dieser Antrag nach all den vorangegangenen Querelen mit der Stadt Heidelberg genehmigt werden würde.
Das unerwartete trat ein: Die Stadtverwaltung genehmigte den Antrag. Allerdings nicht zum gewünschten Termin Ende Juni 1983, sondern drei Wochen später, am 15.7.83 und 16.7.83.
Der Grund für diese Terminverschiebung stellte sich schnell heraus: Die SPD Weststadt lud am gleichen Wochenende, am Sonntag, 17.7. zu einem Straßenfest in der Zähringerstraße ein, sozusagen um die Ecke rum.
Ein Schelm, wer sich dabei böses denkt, wenn die Stadtverwaltung ausgerechnet am gleichen Wochenende ein weiteres Stadtteilfest genehmigt. Da erhoffte sich offensichtlich die Stadt Heidelberg eine gesunde Konkurrenz zwischen den beiden Veranstaltern, damit keiner so richtig auf seine Kosten kommt.
Um dies abzuwenden nahm das KULTURFENSTER sofort Kontakt zur örtlichen Zentrale der SPD und zum damaligen Geschäftsführer auf.
Man könne doch einfach die Feste zusammenlegen und gleich ein gemeinsames draus machen? Das war der Wunsch des KULTURFENSTERS, wohlwissend, dass dieses Verlangen in der links-alternativen Szene überhaupt nicht gut ankam. Schließlich galten die „Reformisten und Revisionisten der SPD“ als natürliche politische Gegner der „echten Linken“ in Deutschland.
Die antidogmatschen jungen linken Christen im KULTURFENSTER e.V. ließen sich aber nicht in ihrem politisch verwerflichen Tun beirren. Vom Dogmatismus hatten sie seit ihrem Bruch mit der katholischen Amtskirche endgültig die Schnauze voll.
Typischerweise trafen sie aber in der SPD Parteizentrale in der Rohrbacherstraße auf ähnliche dogmatische Geister, die sich nicht vorstellen wollten, mit der jungen alternativen Szene gemeinsame Sache auf einem Stadtteilfest zu machen.
Aber: ohne den eigentlichen Veranstalter des Straßenfestes, den Ortsverein SPD-Weststadt, zu fragen getraute sich der Geschäftsführer der SPD Heidelberg dann doch nicht, die Kooperationsanfrage des KULTURFENSTERS abzuschmettern.
Also wurde der Vorsitzende der SPD-Weststadt, der junge, aufstrebende „SPD Rebell“ Lothar Binding, befragt. Der fand die Idee sehr gut. Wegen der bereits fortgeschrittenen Vorbereitungen des Straßenfests konnten aber beide Feste nicht sofort, also 1983, zusammen gelegt werden.
Die Chemie zwischen den Macher*innen beider Feste stimmte auf Anhieb. Man bewarb die beiden Feste 1983 gegenseitig auf den Veranstaltungsplakaten und in der Presse.
Die praktische Zusammenarbeit klappte sofort und sehr gut. Freitags und Samstags halfen die Weststadt SPD-Genoss*innen beim Sommerspektakel des KULTURFENSTERS mit, Sonntag die Aktiven des KULTURFENSTERs mit ihren Kinderspielangeboten beim SPD Straßenfest.
Auf der Grundlage dieses praktischen Vertrauens, verabredeten sich SPD Weststadt und KULTURFENSTER, das nächste Fest in 1984 gleich gemeinsam unter dem Label SOMMERSPEKTAKEL zu veranstalten.
Eine langanhaltende Kooperation entwickelte sich. Wahrscheinlich sehr zum Missvergnügen der Ideologen auf beiden Seiten der politischen Barrikade.
Diese Zusammenarbeit zwischen SPD Weststadt und dem KULTURFENSTER hielt bis Anfang der 2000 er Jahre.Erst als sich das KULTURFENSTER endgültig in der Stadtgesellschaft mit Hilfe städtischer Mittel institutionalisieren konnte, beendete der Verein die Mitarbeit beim Sommerspektakel. Das SOMMERSPEKTAKEL war offensichtlich zur ehrenamtlichen Last geworden.
Das Konzept des ersten SOMMERSPEKTAKELS 1983:
„…Andre Heller hätte der Regiseur sein können…“ (RNZ)
Kein Bierzelt und keine Blasmusik: so wollte sich das Sommerspektakel schon äußerlich vom „Mief“ des Weststadtfestes des Stadtteilvereins abheben.
Dieser Wunsch drückte sich schon im Veranstaltungsplakat aus: Vor der Kulisse der schönen alten Gründerzeitgebäude am Wilhelmsplatz findet sich allerhand buntes Volk ein, die den sonst beschaulichen Platz beleben: Gaukler, Clowns, Jongleure, Hippies…
Veranstaltungsplakat für das erste Sommerspektakel 1983. Vor der Gründerzeitkulisse des Wilhelmsplatz tummelt sich buntes Volk, argwöhnisch beobatete von der Obrigkeit. Es fehlte auch nicht der Hinweis auf das am Sonntag stattfindende erste Straßenfest des SPD-Ortsvereins Weststadt.
1983 Plakat, Straßenfest des SPD OV Weststadt, das am gleichen Wochenende wie das Sommerspektakel stattfand.
Kinder brauchen Spielräume!
Die ersten Sommerspektakel richteten sich räumlich vollständig auf die Platz-und Spielbedürfnisse von Kindern aus. Das Konzept der „ästhetischen Aktion“, orientiert an der „Pädagogischen Aktion München e.V., war leitetend.
Es gab kein Zelt, der freie Platz war mit Materialien, Kartons, improvisiertem Planschbecken, einem großen Sandhaufen, unkonventionellen Spielgeräte, phantasievollen Kulissen gestaltet.
Der Kindermitmachcircus „Pico-Pello“ feierte seine Weltpremiere. Das SPIELMOBIL des Kulturfensters erfreute erstmals in Heidelberg die begeisterten Kinder. Aus vielen Kartons, die auf den Platz geworfen wurden, bauten sich die Kinder eine phantasievolle Kinderspielstadt. Der gleichzeitig mit dem KULTURFENSTER neugegründete Förderverein für junge Arbeitslose „DIE WERKSTATT e.V. ( heute WERKstattSCHULE e.V. und Die WERKSTATT – SPIELART eG) , baute den KULTURBAUWAGEN ( das Corpus Delicti der vorjährigen Aktion auf dem Wilhelmsplatz) zu einem Spielmobil um, ein alter, restaurierter Hanomagtraktor zog ihn auf den Wilhelmsplatz, wo sie einen Teil der Spielkulisse bildeten. Vor der Kirche startete erstmals der bis heute sehr beliebte Kinderflohmarkt.
Die entspannten Mütter und Väter beobachten ihre Sprösslinge bei einer Tasse Kaffee mit Kuchen des Frauennotrufs, das zuständig für das kleine Kaffeezelt war. Auf diese Weise wurde eine sehr lockere und entspannte Atmosphäre geschaffen, die sofort von den Kindern und den erwachsenen Besucher*innen gut angenommen wurde.
Die Erwachsenen breiteten sich erst am Abend räumlich aus. Die örtliche Musik-und Kleinkunstszene durfte auftreten, die Keulenwerfer (Jonglierszene) beherrschten das optische Bild. Die damalige Alternativzeitung „COMMUNALE“ sprach Jahre später von einer „Invasion der Keulenwerfer“, die sich in Heidelberg fest etabliert habe. Diese Invasion kam aber ohne „Großer Zapfenstreich“ aus. Dafür gab es italienische Tarantella-Musik von PASTA FANTASTA, griechische Volksmusik, die zum Tanzen animierte und Auftritte lokaler Kleinkunstgruppen und Kabarettgruppen, die ihre Themen in aktuellen kommunalpolitischen Konflikten fanden. Es gab keine große Bühne sondern über den Platz verteilten kleinere Auftrittsorte.
Dieses chaotische Ambiente schuf einen entspannten und kreativen Raum auf dem Wilhelmsplatz.
Die RNZ schreibt treffend nach dem Fest „…Andre Heller hätte der Regiseur sein können…“
Leider setzten sich in späteren Jahren wieder die Bedürfnisse der Erwachsenen durch: Biebänke stellen heute den Platz zu, ein Zelt versperrt die städtebaulich schöne Kulisse des Platzes, vor allem den Blick auf die Kirche.
Die Heidelberger Presse berichtete sehr positiv über dieses für Heidelberg neue Konzept eines Stadtteilfestes.
Auch das Feiern ist politisch
Alles ist politisch! Das Private ebenso wie das gemeinsame Feiern. Der damalige Zeitgeist (70er und 80 er Jahre) ließ keine Ausnahme zu, er war damals schon sehr „wertegeleitet“.
Die aktiven Gruppen beim Sommerspektakel kamen aus der alternativen Szene. Kaffee und Kuchen wurden nicht nur konsumiert, weil es schmeckte, sondern auch um die alternative Frauenbewegung zu unterstützen, die zuständig für das Kaffeezelt war.
Am Bierhahn zapften kräftige junge Männer und Frauen des linken Motorradclubs KUHLE WAMPE das Bier aus Solidarität mit dem alternativen Fest. Das Kleinkunstprogramm gestaltete die alternative Kabarett-, Musik- und Jongleursszene.
Sonntags durften alle linksalternativen Gruppen ihre „politische Mission“ unzensiert beim „Markt der Möglichkeiten“ verkünden. Nur die eigentlich bedauernswerten Sozialdemokraten, die einen großen Teil der Festorganisation schulterten, durften nicht einmal ihre Parteifahne, geschweige denn den SPD Sonnenschirm aufstellen. Sie haben sich ohne Murren diesem Verdikt untergeordnet!
Eine Parteifahne oder ein Parteiemblem der Sozialdemokratie hätte sofort riesengroßen Protest in der Szene, also auch bei den aktiven Gruppen auf dem Fest, verursacht. Der „Schmusekurs“ zwischen KULTURFENSTER und den „Spezialdemokraten“ wurde sowieso äußerst kritisch beäugt. Der natürliche Festpartner hätte eigentlich die junge Grüne Partei, bzw. der kommunale Ausleger, die GAL sein müssen. Der historische Zufalle wollte es aber nun mal nicht anders. So kamen die „Sozialdemokraten“ zum Zug, bzw. zum Sommerspektakel.
Die der Szene angehörenden Macher*innen des KULTURFENSTERS wurden vor dem ersten richtigen Kooperationsfest (1984) mit der SPD diskret, aber sehr bestimmt von den zuständigen alternativen Politikommisaren zur Seite genommen und wegen des unverzeihlichen politischen Sündenfalls ermahnt.
Aber auch die Häuptlinge der grün-alternativen Szene machten bald ihren Frieden mit dem – trotz der Beteiligung der SPD- unkonventionellen und gut angenommenen SOMMERSPEKTAKEL.
Die „Bütikofers der grünen Szene“ nahmen sogar in den frühen Jahren des Sommerspektakels spät in der Nacht selbst den Besen in die Hand, um den Platz politisch korrekt zu säubern. Natürlich nur vom Plastikmüll.
Bei den „Radikalen“ Bratwürste grillen:
Das findet eine Heidelberger Bank gar nicht lustig….
Das erste, gemeinsam mit der SPD veranstaltete Sommerspektakel im Jahr 1984 war gerade erfolgreich über den „Willi“ gegangen, schon gibt es für einen jungen Mithelfer aus der katholischen Jugend erheblichen Druck von seinem Arbeitgeber, einer bekannten Heidelberger Bank (die auch noch die Hausbank des KULTURFENSTERS war…). Er wurde doch tatsächlich bei diesem linksradikalen Volk auf dem Wilhelmsplatz gesichtet, wie er am Bratwurststand die blassen Würste im roten Feuer genießbar machte. Das geht ja gar nicht, das sei karriereschädlich, wurde ihm väterlich seitens der Bank mitgeteilt.
Der junge Mann nahm sich das zu Herzen und durfte sich Jahrzehnte später als Vorstandsmitglied dieser Bank in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden.
1983: Werbung beim Sommerspektakel für die friedenspolitische Menschenkette von Stuttgart nach Ulm, die am 22.10.83 dann auch erfolgreich stattfand. Es ging um den Protest gegen die Stationierung amerkianischer Atomraketen in der Bundesrepublik. Siehe hier.