Ausführlicher Text zur Endnote 26, zitiert sind die gefetteten, kursiven Textteile
Persönliche Erinnerungen
Die folgenden persönlichen Erinnerungen beanspruchen nicht den Anspruch auf objektive Wiedergabe von historischen Abläufen. Diese Erinnerungen mögen stellenweise als übertrieben und einseitig erscheinen. Sie haben sich in dieser Weise stark in das persönliche Gedächtnis eingegraben. Sicherlich gibt es gleichaltrige Zeitzeugen, die diese Zeit völlig anders erlebt hatten.
Wolfgang Gallfuß
Einmal K-Gruppe reichte…
„…die Jugendräume (wurden) als Bibliothek für sozialistische oder kommunistische Schriften und Versammlungsorte der APO und des SDS genutzt….“ [1]
Dieser Vorwurf tauchte 30 Jahre nach den konflikthaften Ereignissen zwischen Gemeindejugend und Gemeinde erneut auf und zwar in der der Ökumenischen Festschrift zum 100 jährigen Jubiläum der Gemeinde St.Bonifatius im Jahr 2003/2004 [2]
Das kritisierte Ereignis soll 30 Jahre davor stattgefunden haben, im Zeitraum um 1970. Tatort sollen die Jugendräume des BDKJ St.Bonifatius im Gemeindehaus in der Hildastraße gewesen sein. Die Verantwortlichen das jugendliche Leitungsteam des BDKJ St. Bonifatius.
Um das Jahr 1970 herum eskalierte die schwelende Krise zwischen der Gemeinde St. Bonifatius und ihrem Jugendverband BDKJ zu einem heftigen, offenen Konflikt. Dabei ging es um vielfältige inhaltliche, theologische und auch politische Differenzen, wie z.B. um den Vorwurf der Zusammenarbeit mit der APO.
Tatsächlich sind die Jugendräume aber nie als Versammlungsorten der APO und des SDS genutzt worden. Das hätten die Autor*innen der 2003 erschienen Festschrift, also ca. 30 Jahre nach dem behaupteten Ereignis, inzwischen auch selbst feststellen können, wenn sie an einer fairen und historisch korrekten Darstellung und Aufarbeitung der Ereignisse ein Interesse gehabt hätten. Man hätte nur das Gespräch mit den damaligen Akteur*innen suchen müssen. Aber offensichtlich waren die Nachwehen der 1972er Ereignisse noch zu stark, was diesen Schritt verhinderte, denn „….eine Generation von Jugendlichen (war) für die Pfarrgemeinde verloren. Auch die Stammesarbeit der Pfadfinder wurde eingestellt….“ [3]
Der Vorwurf an den katholischen Jugendverband BDKJ, eine Art von „Vorfeldorganisation“ für den SDS und seine Nachfolgeorganisation gewesen zu sein, stimmt so nicht.
Richtig ist, dass man sich Ende der 60 er Jahre in Heidelberg als junger Mensch kaum den Ereignissen entziehen konnte, die von der Studentenbewegung ausgingen. Auch nicht, wenn man in der katholischen Jugend aktiv war. Im jugendlichen Alter ist man nun halt eher rebellisch. Wenn es sich dann noch fügt, dass die typische jugendliche Rebellion in einer allgemeinen gesellschaftlichen Umbruchphase stattfindet, dann verstärkt dieser Umstand die jugendtypische Rebellion. Insofern war man als junger katholischer Rebell gewollt oder ungewollt ein Teil der „Außerparlamentarischen Opposition“. Der Vorwurf der Gemeinde, die Jugendräume seien für Versammlungen der „APO“ genutzt worden, könnte man auf diesem Hintergrund als zutreffend bezeichnen.
Es gab aber keine Form irgendeiner organisatorischen, institutionellen Zusammenarbeit. Die persönlichen Wege der Akteure in der Gemeindejugend St. Bonifatius führten weder in die Reihen des SDS, dazu waren die jungen Männer und Frauen Mitte der 60er Jahre tatsächlich noch zu jung, noch traten sie später, also Anfang der 70er Jahre, dem maoistischen, dogmatisch aufgestellten KBW bei.
Auf das Milieu der katholischen Jugendarbeit wirkten dennoch die öffentlichen, politischen Aktionen des SDS ein. Später auch die Aktivitäten des Heidelberger „Neuen Roten Forums/NRF“ – das aus dem 1970 verbotenem SDS hervorging und des 1973, mit wesentlicher Beteiligung des NRF gegründeten KBW, dem „Kommunistischen Bund Westdeutschland“.
Vor allem beteiligten sich Teile der Katholischen Jugend aus verschiedenen Pfarreien an den „Rote Punkte“ Aktionen zur Verhinderung von Fahrpreiserhöhungen bei der hiesigen HSB. Auch die die Proteste gegen den Vietnamkrieg stießen auf Zustimmung. Besonderes Interesse fanden die lokalen Unterstützungsaktivitäten für den „Befreiungskampf“ in den ehemaligen portugiesischen Kolonien und die Solidaritätsaktionen gegen die Apartheid in Südafrika. Denn diese Form der nationalen Befreiung von struktureller Gewalt kam den Ideen der christlichen Ethik der „Theologie der Befreiung“ recht nahe.
Richtig ist auch, dass mancher ehemaliger Katholik im KBW landete. Das bekannteste Beispiel ist der grüne Ministerpräsident Kretschmann in Baden-Württemberg[4]. Weniger bekannt gewordene Persönlichkeiten in der dogmatischen Katholischen Kirche traten tatsächlich auch umstandslos vom Amt des Oberministranten zur nächsten „dogmatischen K-Gruppe“, dem KBW über. Diese Fälle gab es aber nicht in der Gemeindejugend von St.Bonifatius.
Wohin jeweils die persönliche, politische Reise ging, hing auch von den unterschiedlichen Situationen in den katholischen Gemeinden in Heidelberg ab und vor allem von der Haltung des jeweiligen Pfarrers zu seiner „aufbrechenden“ Jugend.
Die Gemeindejugend in St.Bonifatius war eher undogmatisch links eingestellt, dank dem geschätzten, liberalen Mentor und Jugendseelsorger Ludwig Bopp. Dort, wo es den größten Aderlass aus einer katholischen Gemeindejugend in Heidelberg an den KBW gab, waren die Strukturen der Amtskirche und die Haltung des Pfarrers weitaus autoritärer als in der sich liberal gebenden Gemeinde St.Bonifatius.
Erst als L.Bopp Gemeindepfarrer wurde, veränderten sich seine Loyalitäten gegenüber „seiner“ Jugend. Die Loyalität des ehemaligen Jugendseelsorgers galt nun der konservativen Gesamtgemeinde. 1972 kam es dann zum Rausschmiss der Jugend aus den Gemeinderäumen.
Persönliches Fazit
Ich war sehr wohl links, aber undogmatisch und antiautoritär eingestellt. Die Christen für den Sozialismus standen mir aber näher als der maoistische, dogmatische, die ewige politische Wahrheit verkündende KBW. Der erinnerte mich zu sehr an den katholischen Dogmatismus. Einmal „K-Gruppe (katholischer Dogmatismus)“ reichte mir.“
Das war einer der wichtigsten Erkenntnisse aus meinem langjährigen kirchlichen Engagement, das mich vor weiteren politischen Dummheiten bewahrte.
[1] Festschrift 100 Jahre Bonifaz-Auszug-2004
[2] Pfarrer Ludwig Bopp war nach eigenem Bekunden im Frühjahr 2019, bei einem Treffen mit ehemaligen BDKJ`ler*innen, nicht an der Abfassung der Jubiläumsschrift beteiligt, er schien selbst auch über diese schriftlich formulierte Behauptung irritiert zu sein. Bei dieser Gelegenheit gab er auch den interessanten Hinweis, dass er nie seine wortgewaltigen und meist hörenswerten Predigten schriftlich verfasst habe, sondern immer in freier Rede sprach. Dass das schriftliche Medium nicht seine Sache gewesen sei, habe ihm einstmals schier die theologische Qualifikation vermasselt, denn er habe natürlich bei Prüfungen auch seine schriftliche Vorlage zur Predigt abgeben müsse. Die hätten aber nie die Qualität seiner in freier Rede gehaltenen Predigt erreicht.
[3] Siehe Ökumenische Festschrift 2003/2004, Ste. 42: Festschrift 100 Jahre Bonifaz-Auszug-2004
[4] Interessanter als die Wanderungsbewegung von Katholiken zum KBW ist die Anfang der 80er Jahre erfolgte Wanderungsbewegung von KBW-Aktivisten zu den GRÜNEN. Einige heute noch einflussreiche Grüne Politiker*innen stammen aus dem Kontext des Heidelberger KBW. Gerade die stark militärisch und „wertorientierte“ Außenpolitik wird von diesen Personen heute noch maßgeblich beeinflusst und als sogenannte „Olivgrüne“ – kritisiert (z.B. die in Heidelberg nicht unbekannten Personen Bütikofer,Fücks, Beck….) Zur Geschichte des SDS und der Nachfolgeorganisationen ist das „Mao-Archivprojekt„ recht aufschlussreich: https://www.mao-projekt.de/BRD/BW/KAR/Heidelberg_VDS_Universitaet.shtml